Main-Echo vom 20. Oktober 2010

Damit die Mauer aus den Köpfen verschwindet

Deutsche Einheit: Bischbrunns Bürgermeister Richard Krebs erkundet seit den Siebziger Jahren die ehemalige DDR und organisiert Bürgerreisen



Bischbrunn   An die Zeiten, als er alle Zeitungen im Reisebus verstecken musste und bloß keine auffällige Bemerkung machen durfte, kann sich Richard Krebs noch gut erinnern. »Bloß keine Missstimmung bei den Kontrolleuren erwecken, sonst hätte die stundenlange Wartezeit auf die Weiterfahrt noch länger gedauert«, sagt der Bürgermeister von Bischbrunn. Seit den Siebziger Jahren reist er regelmäßig in die ehemalige DDR.

15 Jahre lang war Krebs stellvertretender Kreisvorsitzender des Gemeindetags und überdies selbst ernannter Vergnügungswart. Manche unken, er hätte ein eigenes Reisebüro. Seit den Achtziger Jahren organisiert Krebs Fahrten für interessierte Bürger in die neuen Bundesländer. Seit 1993 nehmen jährlich viele Teilnehmer an den beliebten Bürgerreisen teil. »Das ist mein Beitrag zur deutsch-deutschen Einheit«, sagt Krebs, den das Thema geteilte Hauptstadt und DDR schon seit seiner Jugend beschäftigt. »Es lag mir schon immer am Herzen und ich bin froh und dankbar, dass ich auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs aufwachsen durfte«, sagt Krebs.

Unterwegs im Wohnmobil

Heute behauptet der Bürgermeister über sich selbst, dass er die neuen Bundesländer besser kenne, als mancher, der dort aufgewachsen ist. Ob Erzgebirge oder Rügen, Mecklenburgische Seenplatte oder Dresden: Jedes Ziel, das Krebs in seinen Bürgerreisen anbot, hat er zunächst selbst im Wohnmobil mit seiner Frau bereist und erkundet.

»Ich möchte auch anderen die Kultur und die landschaftlich wunderschöne Seite des Ostens näherbringen«, so der Bischbrunner. Jede Reise hat auch politischen Hintergrund. Krebs plant Zusammenkünfte und Diskussionen mit Politikern, die von der Vergangenheit berichten, er besucht mit den Teilnehmern historische Stätten. Mit den Jahren hat er viel erlebt und gesehen, viele Kontakte geknüpft und Schicksale kennen gelernt. »Wenn ich an Hohenschönhausen oder die Wolfsschanze denke, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter«, sagt Krebs. Doch es gibt auch Zwischenfälle, an die er gerne zurückdenkt. Etwa an eine der ersten Busreisen ins Erzgebirge, als es noch fast unmöglich war, für 45 Gäste eine Unterkunft zu finden. »Hotels gab es damals kaum und wir haben auf einem umgebauten Bauernhof übernachtet«, berichtet der Bürgermeister.

Ein Fan von Strauß

Oder an die Begegnung mit einer Dresdner Restaurantleiterin, die Krebs noch vor der Wende kennen lernte. »Ich wusste, dass sie ein Fan von Franz Josef Strauß war und habe ihr deswegen ein Bild von ihm geschickt - allerdings mit falschem Absender, weil ich Angst hatte, dass die Stasi mir beim nächsten Besuch Probleme macht«, sagt Krebs.

Das Foto kam an, die Mauer fiel, die Stasi war Geschichte und Krebs besuchte die Restaurantleiterin bald wieder in Dresden. An diesem Tag betätigte er sich auch als »Mauerspecht«, wie er sagt. Noch heute lagert das Stück Mauergeschichte in seinem Wohnzimmerschrank.

Um deutsch-deutsche Einheit zu leben, müsste Krebs heute eigentlich keine Bürgerreisen mehr organisieren, sondern in seinem Rathaus in Oberndorf nur ein Stockwerk höher gehen. Dort wohnt seit 2001 Günther Kopietz. Der 65-Jährige kommt aus der Nähe von Leipzig und hat dort sein Leben lang »in der Kohle« und auf dem Bau gearbeitet. Sein Sohn René kam schon 1990 nach Oberndorf - auf der Suche nach Arbeit. Als Kopietz in Rente ging, folgte er seinem Sohn in die Spessartgemeinde.

Den Mauerfall hat er damals gar nicht richtig mitbekommen, berichtet der 65-Jährige: »Wir waren auf Besuch bei Bekannten und dort gab es keinen Fernseher.« Als er einen Tag später nach Leipzig zurückkehrte und ein Freund ihm erzählte, er sei im Westen gewesen, habe er gedacht: »Der spinnt doch!«

Aufs System gedrillt

Doch es war Realität und letztlich ein »unglaublich gutes Gefühl, endlich frei zu sein«, erzählt Kopietz. »Schon in der Freien Deutschen Jugend sind wir auf das System gedrillt worden. Als Kinder haben wir das nicht gemerkt«, berichtet Kopietz. Erst später sei ihm klar geworden, dass es in der DDR nur die Linientreuen zu etwas bringen.

Bürgermeister Krebs lauscht den Worten seines Mieters. Und der erzählt: von seiner Arbeit in der Kohle, davon, wie es nach der Wende mit den Firmen bergab ging, wie er wieder Arbeit auf dem Bau fand, von seiner Jugend, in der er auf vieles verzichten musste und trotzdem glücklich war.

»Ich glaube, dass immer noch zu wenig Menschen aus dem Westen den Osten besuchen«, sagt Richard Krebs. Auch 21 Jahre nach dem Mauerfall hätten wohl viele Deutsche ein falsches oder gar kein Bild vom Leben in der ehemaligen DDR. Die Bürgerreisen des Bischbrunners wird es deswegen weiterhin geben. Damit die Mauer aus den Köpfen irgendwann ganz verschwinde und die Menschen den Frieden in Europa als wichtigstes Gut zu schätzen wissen. Aus diesem Grund hat Krebs auch in Bischbrunn ein Denkmal zur deutsch-deutschen Einheit aufstellen lassen.

Bianca Löbbert