Main-Echo vom 4. November 2013

Eine Gemeinde, aber keine Gemeinschaft

Serie: Bischbrunn und Oberndorf in ständiger Rivalität - Lust an eigener Identität - Über die Nachbarn zu lästern, gehört zum guten Ton



BISCHBRUNN-OBERNDORF   Beim Durchfahren präsentiert sich die Gemeinde Bischbrunn-Oberndorf dem Ortsfremden als Musterbeispiel für ein modernes Waldhufendorf, ein scheinbar endlos dahin mäandernder Auswuchs des Siedlungskomplexes rund um Esselbach. Wo die eine Ortschaft aufhört und die andere anfängt, bleibt ihm, wenn er nicht auf ein kleines Schildchen achtet, verborgen.

Der optische Charme hält sich in Grenzen: Durch die komfortable Raumsituation konnten die Einwohner in der Nachkriegszeit einfach die alten Gehöfte einstampfen und an der gleichen Stelle jene Wohnhäuser errichten, die man damals als zeitgemäß und heute als unästhetisch empfindet. An Stelle fränkischen Fachwerks sprechen nur noch die unzähligen Marienbildnisse, mit denen bis heute fast jeder Bauherr seine Frömmigkeit zum Ausdruck bringt, vom Traditionsbewusstsein der Einheimischen.

Der skeptische Betrachter könnte das Ortsbild als »zersiedelt« bezeichnen, müsste dann aber auch anerkennen, dass sich in jüngerer Zeit erschlossene Wohngebiete nahtlos in diese Struktur einfügen. So wohnen Alte und jungen Familien noch nahe genug zusammen, um sich auf der Straße zu begegnen und gemeinsam mit der Nachbarskatze zu spielen.

An Kindern mangelt es nicht: gute Waldluft, ausgezeichnete Erziehungs- und Einkaufsmöglichkeiten und nicht zuletzt die Nähe zur A3 und dem Marktheidenfelder Industriegebiet ziehen ständig frisches Blut in die Gemeinde und ersparen auch dem eigenen Nachwuchs die schwere Wahl zwischen Heimatliebe und Karriere. Im Einzelnen haben die Zwillingsdörfer viel an historischer Authentizität eingebüßt - im Ganzen haben sie ihren ursprünglichen Charakter dafür erhalten.

Dieser wurde im 13. Jahrhundert geprägt, als wachsender Bevölkerungsdruck und Fortschritte in der Agrartechnik zur Besiedlung der bis dahin unzivilisierten, da wenig fruchtbaren Höhenlagen des Spessarts führten. Die Gegend um das bereits existierende Esselbach war besonders interessant, da hier die alte Ost-West-Verbindung zwischen Frankfurt und Würzburg entlang führte. So schickten Fürsten aus der ganzen Umgebung ihre Leibeigenen in die ständig wachsende Rodung und verursachten die Fragmentierung der Gemeinde, über die Uneingeweihte bis heute staunen.

Im Genauen lässt sich das Geschachere der damaligen Herrscher um den Zugang zum lukrativen Außenhandel heute nicht mehr nachvollziehen, doch am Ende gehen Esselbach und Umgebung ans Bistum Würzburg. Mit einer Ausnahme: Die Kollegen aus Mainz behaupten einen Brückenkopf am äußersten Ende des »oberen Dorfs«, den sie mittels Brunnen- und Kirchenbau zur eigenständigen Gemeinde ausbauen. Nach der gemeinsamen Entstehung werden Bischbrunn und Oberndorf für die nächsten 500 Jahre von einer Grenze getrennt.

Zum Wildern ins Nachbardorf Wie innerdeutsche Grenzen das so an sich haben, besteht die in einigen Köpfen bis heute. Ins jeweilige Nachbardorf, erinnern sich die Alten, ging man früher nach bestem Spessart-Brauch nur zum Wildern, ob man nun auf Hasen oder Schürzen jagte. Beides konnte leicht in eine Prügelei münden. Wahrscheinlich wäre das noch heute so, wenn der bayrische Gesetzgeber nicht 1978 einen Schlussstrich unter die sorgfältig gepflegte Hassliebe gesetzt hätte: Als der unnachgiebige Blick der Gebietsreformer auf die zwei unmittelbar benachbarten, aber unabhängigen Gemeinden fällt, wird die Fusion, im heutigen Politjargon, »alternativlos«.

Bevor es zur Zwangsehe kommt, reichen die Gemeinderäte nach zähen Verhandlungen noch am Stichtag ihr Einverständnis ein. Die Kernpunkte des Deals: Name und Wappen von Bischbrunn, Rathaus und Hauptschule in Oberndorf. In der Bevölkerung aber bleibt die Eingemeindung unbeliebt. Hin und wieder über das wahlweise arrogante oder sture, geizige oder neidische Nachbardorf zu lästern, gehört unter Einheimischen zum guten Ton, egal ob jung oder alt.

Krebs seit 1984 Bürgermeister Als Bürgermeister der künstlichen Kommune hat Richard Krebs (CSU) die Hälfte seines Lebens damit verbracht, diese Wogen zu glätten. Seit 1984 hat man keinen kompromissfähigeren Kandidaten als den nach Bischbrunn eingeheirateten, gebürtigen Oberndorfer gefunden. Für seine zwei Heimaten benutzt er den salomonischen Vergleich von »zwei Söhnen, die in Konkurrenz zueinander stehen«. Diese Rivalität »kostet Kraft, setzt aber auch Kräfte frei«.

Auf der Haben-Seite könnten zum Beispiel die Fußballvereine stehen: Deren Vorstände haben in der jüngeren Vergangenheit mehrfach versucht, dem Nachwuchsmangel mit unterschiedlichen Kooperationsmodellen zu begegnen, die wahlberechtigten Mitglieder hingegen kicken sich lieber in den eigenen Farben durch die untersten Ligen, als auch nur eine gemeinsame Mannschaft aufzustellen.

Vermeidbare Kosten produzieren auch die zwei Kindergärten und die zwei Feuerwehren - aber da letztere unter Bestandsschutz stehen, solange sie einsatzfähig sind, ist an eine Zusammenlegung nicht zu denken. Da tauchen schon die nutzbaren Kräfte der Rivalität auf: »Für unsere doppelten Vereine ist diese Existenzangst natürlich eine große Motivation, sich aktiv um Mitgliedschaften zu bemühen.«

Auch Traditionsvereine wie die Heimat- und Wanderfreunde oder die Trachtenkapelle, deren Pendants in anderen Dörfern hart mit dem Aussterben ringen, profitieren von der Lust der Oberndorfer und Bischbrunner an der eigenen Identität. Bis in die getrennten Kirchengemeinden reicht der Kampfgeist: Welche den besseren Singkreis hat oder den schöneren Gottesdienst ausrichtet, ist letztlich nicht so wichtig wie die Tatsache, dass beide ihr Bestes tun, um ihren Glauben auf die Straße zu tragen.

Im Rückblick ist Krebs, der sein Wirken immer darauf ausrichtete, seine beiden »Söhne« zusammen zu schmieden, froh, dass in den vergangenen 30 Jahren »der Ausgleich zwischen den Gemeindeteilen im Großen und Ganzen gelungen« ist. »Aus der Gemeinde auch eine Gemeinschaft zu machen, das ist mir nicht gelungen, und das wird auch meinem Nachfolger nicht gelingen.« Solange sie ihren Haushalt gemeinsam bestellen können, spräche aber nichts dagegen, wenn auch in hundert Jahren die Oberndorfer noch Oberndorfer und die Bischbrunner noch Bischbrunner sind.   Alexander Gutmann


In Bischbrunn-Oberndorf ist man katholisch – und zeigt es.



Unsichtbar, aber tief verwurzelt: Die Grenze zwischen Bischbrunn (links) und Oberndorf (rechts).



Diesen Ausblick möchte kein Oberndorfer missen.

Fotos: Alexander Gutmann


Zahlen und Fakten: Bischbrunn-Oberndorf

Bischbrunn ist eine eigenständige Gemeinde in einer Verwaltungsgemeinschaft mit Marktheidenfeld, Oberndorf ist ein Ortsteil von Bischbrunn. Aus Rücksichtnahme wird in der Öffentlichkeit aber meist von Bischbrunn-Oberndorf gesprochen. Einwohner: 942 (Bischbrunn), 898 (Oberndorf) Erste urkundliche Erwähnung: Bischbrunn: 1338 (kurz nach dem Übergang in Mainzer Besitz), Oberndorf: 1492 (zuvor Teil von Esselbach) Politische Zugehörigkeit vor 1806: Erzbistum Mainz (Bischbrunn), Bistum Würzburg (Oberndorf), beide katholisch

Infrastruktur: Zwei katholische Kindergärten und eigene Grundschule, umfassende Einkaufsmöglichkeiten in Gewerbegebieten an beiden Ortsenden, Gesundheitsversorgung und weiterführende Schulen im nahen Marktheidenfeld, als Teil der »Riesengemeinde« Esselbach-Kredenbach-Steinmark hervorragende ÖPNV-, Bundesstraßen- und Autobahnanbindung

Wichtigste Vereine: Freiwillige Feuerwehren Bischbrunn und Oberndorf, Sportvereine SV Bischbrunn und DJK Oberndorf, Oberndorfer Carnevalverein »Die Rattel« (zuständig auch für Bischbrunn und Esselbach) Wichtigste Feste: Fasching (Oberndorf), Fränkischer Abend (Bischbrunn, letzter Samstag im September) Typische Namen: Leimeister, Väth, Schwab, Schreck

Wofür sich ein Besuch lohnt: EU-Kulturwanderweg »Bischbrunner Forst« (zwölf Kilometer, ehemals königlich-bayrisches Jagdrevier mit Wildpark und mehreren Kulturdenkmälern) Privatsternwarte Bischbrunn, 2009 von Astronomieliebhaber Jürgen Väth erbaut, öffentliche Führungen nach Absprache. www.privatsternwarte-bischbrunn.de Geiersberg, mit 586 Metern die höchste Erhebung im Spessart, mit Funkanlage, von Wehrmacht und US-Armee errichtet. (gut)