Main-Post vom 30. August 2012

100 CSUler, Currywurst und Cappuccino

Seit vier Jahren rasten Autofahrer an der Mellrichstädter Höhe – ein 90-minütiger Ortsbesuch


(Susanne Popp)   Morgens, 9 Uhr in Mellrichstadt. Nein, genauer auf der Mellrichstädter Höhe. Seit 2008 thront hier der Rastplatz an der A 71 über der Stadt, die Einwohner verschlägt es dennoch selten auf die Höhe. Wer aber hält an der Tank- und Raststation? Woher kommen die Gäste, wohin sind sie unterwegs? Und was wissen die Leute über die Region? Eine Suche nach Antworten auf dem Mellrichstädter Rastplatz.

Als sich die Sonne aus den Wolken über den Rhön-Tälern kämpft, sind Claudia und Arno schon über zwei Stunden unterwegs. Mit Tochter Joelina und Sohn Tim geht es vom Bodensee zurück in die Heimat nach Ostfriesland. Jetzt brauchen alle eine Pause: Das weiße Wohnmobil wird auf der Mellrichstädter Höhe geparkt, Mutter Claudia bereitet das Frühstück vor. Am frühen Vormittag ist der Rastplatz der perfekte Platz zum Ausruhen, knapp ein Dutzend Fahrzeuge steht verstreut auf dem großflächigen Areal. Die Tische vor dem Bistro sind noch verwaist, ein einzelner Zigarettenstummel zeugt von einem frühen Besucher. Auch auf der Autobahn ziehen nur sporadisch Fahrzeuge vorbei, bei Langeweile lassen sie sich ohne Probleme zählen. Ist es die morgendliche Ruhe vor dem Sturm?

Um 9.13 Uhr fahren mit brummender Kühlung zwei Reisebusse aus Main-Spessart ein. An Bord: 100 rüstige Senioren auf CSU-Bürgerreise nach Magdeburg und auf den Brocken. Seit 19 Jahren fahren die Spessarter einmal im Jahr von Bischbrunn aus Richtung Osten. „Bei uns hat der Geografieunterricht in der Schule noch an der ehemaligen Zonengrenze aufgehört“, sagt ein Teilnehmer. Die Fahrten seien daher Geschichte zum Anfassen – und der Rastplatz an der Mellrichstädter Höhe, nur wenige Kilometer vom ehemaligen Grenzstreifen entfernt, der ideale Frühstücksort.

„Traditionell gibt es bei uns immer Würstchen und Wein“, sagt Richard Krebs, Bürgermeister der Gemeinde Bischbrunn. Auf weißen Klapptischen werden Kisten mit Wienern und Brötchen aufgebaut, Krebs selbst schenkt den Wein dazu in kleinen Gläschen aus. Über Mellrichstadt wissen die Spessarter zwar wenig, der Rastplatz aber wird gelobt: „Die Autobahn und der Platz hier sind so modern, fast könnte man erwarten, dass sie auch noch die Leitplanken vergoldet hätten.“

Während auf der Nordseite Hunderte Würstchen in Rekordzeit in hungrigen Mägen verschwinden, wird auf der anderen Seite des Rastplatzes nach verschwundenem Benzin gefahndet. Um 9.37 Uhr fährt eine Polizeistreife vor. Nach einem Tankdiebstahl am Morgen am Autohof Schweinfurt-Werneck wird ein roter LKW gesucht, ein Modell, wie das von Marko Könitzer. Der Berufskraftfahrer ist sich keiner Schuld bewusst. In Werneck hat er zwar tatsächlich angehalten, allerdings nur, um sich für die Weiterfahrt nach Leipzig „eine Leberkässemmel zu holen“, so gibt er zu Protokoll. Benzin im Wert von 600 Euro habe er weder getankt noch unterschlagen. Sein Truck jedoch ist rot und passt damit auf die Beschreibung der Kassiererin in Werneck. Laut den ermittelnden Beamten der Verkehrspolizei waren zum Tatzeitpunkt zwei rote Anhänger auf dem Autohof. Die Aussagen von Könitzer würden überprüft. Dass er mit dem dreisten Betrug zu tun hat, davon gingen die beiden Beamten nicht aus. „So dusselig kann man doch gar nicht sein“, sagt Könitzer selbst. Schließlich seien alle Rastplätze heute Video überwacht, jede Bewegung werde registriert.

Um 10 Uhr, zur besten Frühstückszeit, gibt es davon plötzlich reichlich auf der Mellrichstädter Höhe. Urlauber treffen auf Pendler wie Sabine und Martin. Die beiden wollen mit einem Becher Kaffee „fit für den Tag werden“. Sie sind geschäftlich unterwegs, steuern den Rastplatz regelmäßig an. „Unter der Woche halten bei uns vor allem Pendler“, sagt eine Angestellte. In Bistro und Tankstelle arbeiten insgesamt 16 Personen, jeder hilft dort, „wo er gerade steht und gebraucht wird“. Um diese Uhrzeit ist das vor allem an der Kaffeemaschine: Ob Urlauber in legerer Jogginghose und Shirt oder Geschäftsmann in Anzug und Krawatte – sie alle scheinen Koffein am Morgen zu brauchen. Auch einige Mitglieder der CSU-Reisegruppe versorgen sich noch mit einem heißen Cappuccino. Pünktlich um 10 Uhr fahren die beiden Busse dann ab, weiter Richtung Osten.

HG, HN, OG, ES oder RT; mittlerweile tummeln sich Kennzeichen aus ganz Deutschland auf der Mellrichstädter Höhe. Im Bistro löst die Currywurst den Cappuccino und das Croissant als meistbestellten Snack ab, an den Zapfsäulen wird in schnellem Wechsel getankt. Benzingeruch mischt sich mit Kaffeeduft und Curryaroma und verbreitet das typische Urlaubsgefühl. Auf der Terrasse sind die Tische jetzt, um 10.30 Uhr, gut besetzt. Familien, Pendler, Berufskraftfahrer, alte und junge Reisende, Pärchen und Jugendgruppen rasten gemeinsam und doch jeder für sich in der Anonymität der Raststätte. Woher der Tischnachbar links kommt oder welches Ziel die Dame am Tisch rechts hat? Kaum einer weiß es, will es auch nicht wissen. Man will Pause machen, ausruhen von langen oder kurzen Strecken. Wo ist egal. Und ob knapp sechs Kilometer unterhalb der Mellrichstädter Höhe eine Stadt Mellrichstadt liegt, die dem Rastplatz Pate stand, eigentlich auch. Als Besucher eines Rastplatzes ist man davon irgendwie losgelöst.




Eine der wenigen Raststätten entlang der A 71: Ob auf der Fahrt in den Urlaub oder auf der täglichen Strecke zum Arbeitsplatz – seit 2008 können Autofahrer auf der Mellrichstädter Höhe rasten.
Foto: Susanne Popp




Mit Wein und Würstchen: Die Teilnehmer einer CSU-Bürgerreise aus dem Kreis Main-Spessart stärken sich auf der Mellrichstädter Höhe.
Foto: Susanne Popp




Auf der Höhe: Ein Schild kündigt den Rastplatz an der A 71 an.
Foto: Susanne Popp